Informel und Tachismus (Kunst nach 1945 )
 Auszüge aus dem Arbeitstext zur Radiosendung “ Die Kunststunde “ am 27.03.2014
 (Hinweis: die Zitate und Quellen sind nicht gekennzeichnet !)

Hörfassung ohne Werbung, ca. 50 min
Audiodatei speichern mit Rechtsklick auf den Player

Navi Web 2014 oben

SamFrancis3Hallo liebe Kunstfreunde,

wenn Sie unsere Kunststunde regelmäßig hören, wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich die verschiedenen Kunstepochen und Kunststile in etwa chronologisch bespreche. Viele lassen sich zeitlich nicht eindeutig zuordnen, es gibt sie auch nebeneinander, oder sie entstehen als Reaktion auf etwas Gegebenes.
Der Impressionismus schon stellte die Ateliermalerei des 19. Jahrhunderts infrage, dem Expressionismus folgte der Kubismus, es gab den Surrealismus, den Dadaismus, die neue Sachlichkeit, den Konstruktivismus. Er gab ab 1900 zeitgleich immer eine figürliche, gegenständliche Malerei und eine abstrakte Malerei. Die Zeit von 1900-1933 ist in der neueren Kunstgeschichte die wohl aktivste und attraktivste. Alle wichtigen Umwälzungen geschahen in dieser Zeit und sie geschahen in Europa.
Die avantgardistische Kunst des 20. Jahrhunderts wird oft die „Moderne“ genannt oder auch die „Klassische Moderne“, und die Bilder von Malern dieser Zeit erzielen auf dem Kunstmarkt die höchsten Preise.
Viele Zeitgenossen, die sich nicht allzu sehr für Kunst interessieren, glauben immer, ein abstraktes Bild sei per sé moderner als ein figürliches - und natürlich muss man dann das hübsche Landschaftsbild über dem Sofa gegen ein abstraktes Bild tauschen, wenn man nicht als altmodisch gelten möchte. Welch ein Irrtum – die abstrakte Malerei, also die ungegenständliche, ist genauso alt und genauso modern wie die figürliche Malerei seit über 100 Jahren.

Ein weiterer Irrtum besteht darin zu glauben, dass Künstler ihr Werk und ihren Stil aus sich heraus erschaffen, also losgelöst von allen gesellschaftlichen Ereignissen. Dass ihr Werk sich nur aus der Einmaligkeit ihrer Person erklären lässt. Und um manchen Künstler wird dabei ein Personenkult entfacht, der jede von ihm dahingeworfene Skizze wie eine Reliquie behandelt. Piccasso ist so ein Beispiel – oder heutzutage Gerhard Richter und Damien Hirst. Eine gefälschte Selbstwahrnehmung führt zu einer ungerechtfertigten Selbstüberschätzung, befeuert durch ein ahnungslos gläubiges Publikum. Dabei hat fast immer jeder von Vorläufern oder von Zeitgenossen geklaut.

Nun, liebe Kunstfreunde, warum spreche ich diese beiden Dinge an: den Begriff der abstrakten Kunst und den Begriff des Künstlers, der aus sich selbst schafft?

Weil die beiden Dinge für die Kunstentwicklung nach 1945 wichtig sind.

Halten wir fest:
Die wichtigsten Entwicklungen der modernen Malerei wurden ab 1933 in Deutschland gestoppt. Sie wurden als „entartete Kunst“ verboten und durften – außer zur Abschreckung- nicht gezeigt werden. Es gab für die Künstler keine Arbeitsmöglichkeit mehr.
Die faschistische Kunst selbst bestand aus heroisierenden Darstellungen idealisierter Körper, antike Anleihen und idyllischer Landschaften und Szenen. Alles Abstrakte war verpönt.

In Russland und den angegliederten Staaten beherrschte der sozialistische Realismus die Kunst, eine in farbfrohe Bilder gegossene Ideologie. Arbeiter, Bauern, Soldaten beim Frühstück, bei der Arbeit oder im Kampf. Schöne Opferhaltungen unter roter Fahne. Die Vertreter der abstrakten Kunst emigriert.

Dann begann das große Schlachten. Amerikas Kriegseintritt. 1945 schließlich das Ende.

Es hatte sich gezeigt: in Diktaturen oder in totalitären Systemen wird dem Realismus in der Kunst Vorrang eingeräumt, weil er von den breiten Volksmassen verstanden wird und somit instrumentalisiert werden kann. Das bedeutete andererseits, dass nur die abstrakte Kunst eine freie Kunst sein konnte.
Diese Überhöhung des Abstrakten führte nicht unmittelbar zu einer besseren Akzeptanz, sondern nur zu einer neuen Deutungshoheit, wie Kunst zu sein habe: nämlich frei – und möglichst abstrakt.

 Um es vorweg zu sagen: Damit schloss man die Kunst als eine von vielen Menschen zu verstehende Kultursache aus. Kunst war jetzt etwas für Experten. Und natürlich war der Kunstproduzent, also der Künstler, dadurch auch etwas Besonderes, ein Experte nämlich für das, was er produzierte. Seine Rolle sollte später - für den Kunstmarkt und den ihm zuarbeitenden Kuratoren und Kritikern - etwas fast Metaphysisches bekommen; der Malakt kam einer heiligen Handlung gleich; die Erklärungen des Künstlers wurden bedeutungsschwer aufgebläht. Noch immer durchziehen philosophisches Geplapper und seminaristische Phraseologie die Texte zur Kunst. Vom Handwerker zum Schamanen… Diese Verwandlung können wir gerade heute beobachten, und sie begann mit der Überhöhung der abstrakten Malerei… 

Und noch ein Aspekt war ab 1945 wichtig:
Pollock3War im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Europa der Ort gewesen, an dem sich wichtige Avantgardebewegungen formierten, wurden nun auch die Vereinigten Staaten von Amerika als Siegermacht zu einem einflussreichen Kunstzentrum. Vor diesem Hintergrund entstanden in den USA unabhängig von Europa neue Kunstrichtungen wie der Abstrakte Expressionismus (Pollock, Rothko, Rauschenberg). An dieser Entwicklung waren auch Künstler, die aufgrund der Nazidiktatur in die USA emigriert waren, unmittelbar beteiligt. Auch der europäische Surrealismus gab z.B. dem Action Painting entscheidende Impulse. 
Als kleiner Hinweis: Ich werde vermutlich noch in einer eigenen Sendung auf die amerikanische Malerei eingehen.
In Europa wurden viele bestehende Strömungen - zum Beispiel die Konkrete Kunst - weiterentwickelt und dienten zugleich als Katalysator für neue Kunststile: So ebneten Konstruktivismus und Konkrete Kunst den Weg für die Op Art. ( Wir sprachen schon in der letzten Sendung davon… Vom Konstruktivismus und anderer Abstrakter Kunst grenzt sich die konkrete Kunst durch ihr wissenschaftliches Denken ab (speziell die Erforschung geometrischer Gesetzmäßigkeiten ), ihre Konzentration auf das Zusammenspiel von Form und Farbe und ihr Interesse an der Erforschung der Farbe. Begründer dieser Kunstrichtung war Theo van Doesburg, vielleicht erinnern sie sich an die letzte Sendung… „Die Farbe ist die Grundsubstanz der Malerei. Sie bedeutet nur sich selbst. Die Malerei ist ein Mittel, um auf optische Weise den Gedanken zu verwirklichen. Jedes Bild ist ein Farbgedanke. Bevor das Werk in Materie umgesetzt wird, besteht es auf vollständige Art im Bewusstsein. Es ist auch nötig, dass die Realisierung eine technische Perfektion aufweist, die der des geistigen Entwurfes ebenbürtig ist. Wir arbeiten mit den Größen der Mathematik und der Wissenschaft, das heißt: mit den Mitteln des Denkens.“

Gleichzeitig entstanden mit Tachismus und Informel neue Auslegungen der abstrakten Kunst. Sie stellten den Konstruktivismus in Frage, und hatten wieder einen expressiven Ansatz.
Und nochmal weiter: Trotz dieser Vorrangstellung des Abstrakten formierte sich seit den 1950er Jahren gleichermaßen in den USA und in Europa eine Gegenbewegung, die sich von der Gegenstandslosigkeit gänzlich abwandte und zum Figurativen zurückkehrte.
Und schließlich wurden mit dem Schlagwort von der "Erweiterung des Kunstbegriffs" die Grenzen zwischen Leben und Kunst weiter aufgehoben, sodass vermehrt Alltägliches Einzug in die Kunstwelt hielt - stellvertretend sind hier für Europa
Nouveaux Réalisme und Neodada, für die USA der New Realism anzuführen. Außerdem entdeckten die Künstler seit den 1950er Jahren mit Happening, Performance und Body Art ihren eigenen Körper als ausdrucksstarkes Medium für schöpferische Entäußerungen.

Doch bleiben wir im Jahr 1945, dem Kriegsende:
Als alles in Schutt und Asche lag, die Häuser und die Selbstachtung, wie sollte es da Kunst geben, damals im Deutschland der Nachkriegszeit? Alles Gegenständliche, vor allem Figürliche, hatte der Nationalsozialismus kontaminiert mit seiner Ideologie. Selbst der Neuen Sachlichkeit war die Zukunft abgeschnitten; sollte man KZ-Bilder malen im Stile eines Antikriegsbild wie bei Otto Dix? Die Portraits von Christian Schad waren nicht verboten worden in der Nazi-Zeit , und gerade dadurch schleichend vereinnahmt worden durch eine Unkultur.

Neue Bilder mussten gefunden werden, die nicht von vornherein in die noch so nahe Vergangenheit verstrickt waren. Und das dauerte einige Jahre. Die erste Brücke wurde von Frankreich aus gebaut, wo die deutschen Künstler Wols (Pseudonym für Wolfgang Schulze) und Hans Hartung schon während des Krieges eine Heimat gefunden hatten: als nämlich in Paris nach dem Krieg die „Art informel“ entstand, aus dem Surrealismus heraus und gegen die Formstarre der geometrischen Abstraktion des Konstruktivismus.

Für Theo van Doesburg , einem Vater des Konstruktivismus, war das Streben nach Klarheit und Perfektion ein wichtiges Element der konkreten Malerei gewesen. Aber auch alle anderen Anhänger des Konstruktivismus vertraten ein strenges geometrisch-technisches Gestaltungsprinzip mit Farbflächen und geometrischen Grundformen. - Es gab also abstrakte Bilder, die nicht politisch ideologisch vereinnahmt worden waren, aber sie waren streng. Der Künstler überlegte sich einen Entwurf und musste ihn mathematisch genau bis zur Perfektion umsetzen – inclusive messbar harmonischem Grundgefüge, Farbwirkung und Komposition etc. Der Künstler musste wie eine nur noch ausführende Maschine agieren.

Das lag nicht jedem. Genausowenig wie die Mathematik jedem liegt. Das Emotionslose des Konstruktivismus und das Emotionslose der abstrakten Kunst überhaupt engte die Kunst ein und schnürte ihr die Luft ab. Kunst ohne Emotion - war das auf Dauer haltbar?
Welches Feuer hatte der Expressionismus entfacht, denken wir an Käthe Kollwitz , an den
Schrei von Munch, an Pechstein, Kirchner und Franz Marc. Welche Emotionen hatten die Happenings der Dadaisten ausgelöst? Welchen Aufschrei die Kriegsbilder eines Otto Dix oder die ätzenden satirischen Werke von George Grosz?

Viele Künstler fragten sich:
Konnte es nicht eine Art der abstrakten Malerei geben, die Gefühle zuließ oder sie sogar zur Grundlage nahm? Eine gegenstandslose Malerei eigener Gefühle? Eine ganz individuelle, freie Art des Malens?

So ganz neu war der Gedanke nicht - Wassily Kandinskys hatte schon früh eigene Vorstellungen von Dynamik und prozesshaften Formen in seinen abstrakten Bildern umgesetzt; er kannte auch die Definitionen von Formen, die Paul Klee am Bauhaus gelehrt hatte.- Die Surrealisten hatten gedrängt, allen psychischen Energien spontan freien Lauf zu lassen; Jean Dubuffet hatte 1942 mit seinen Bildern aus Sand, Erde, Kalk oder Gips begonnen, die er als »Art brut«, als »rohe Kunst«, bezeichnete. Von Klee beeinflusst waren auch die Collagen und Bilder von Antoni Tápies.
 Dubuffet Tapies 

Es gab also Vorläufer für den neuen Ansatz der Malerei, die man etwas später das „Informelnannte.

Der Begriff Informel meint „keinen einheitlichen Stil, sondern charakterisiert eine künstlerische Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnt wie die geometrische Abstraktion“. Der Begriff fasst somit verschiedene abstrakte Strömungen der europäischen Nachkriegskunst zusammen. Zu seinen Merkmalen zählen die Formlosigkeit und die Spontaneität in der künstlerischen Produktion. Der spontane, ungesteuerte Malprozesse als emotionaler Akt. Farbe und andere bildnerische Materialien werden autonom eingesetzt. Der Arbeitsprozess unterliegt keinen starren Regeln, er folgt eher, wie im Surrealismus, Prozessen des Unbewussten. Die informelle Malerei verwendet keine festen Kompositionsregeln. Durch neu erfundene Zeichen sowie durch spontane Rhythmik von Linien und Farbflecken drückt sie die geistigen Impulse des Malers unmittelbar aus.
  .
Einfacher gesagt: Der Künstler setzt sich vor die nackte Leinwand, meist eine sehr, sehr große; er nimmt den Pinsel und Farben in die Hand – und legt los. Ohne Plan, ohne Ziel, ohne erkennbaren Sinn. – Und jetzt muss ich leider sagen: Entsprechend ist meist auch das Ergebnis. Der Weg ist das Ziel, schön und gut, aber das ist höchsten ein Erweckungserlebnis für den Künstler, nicht für den Betrachter. Den interessiert nur das Ergebnis, das Ziel. Und hier kommt dann die Arroganz ins Spiel: Dem Betrachter wird dann gesagt: Du verstehst das Bild nur nicht. Wie auch? Wie soll er den unbewussten Schaffensprozess eines Unbekannten nachvollziehen und würdigen können? Jeder Künstler kann sich dem Informel ergeben so viel er will, aber er soll die Deutung der Werke dem Betrachter überlassen. 

Ich persönlich mag z.B. die Bilder von Emil Schuhmacher sehr, die von Pollock auch, die von Hartung überhaupt nicht; auch nicht die von Franz Kline… Es gibt m.E. einen Grund, dass gerade die Bilder des Informel die meisten Menschen aus den Galerien und Museen gejagt hat. Dass die abstrakte Malerei insgesamt in Haftung genommen und als etwas „Spinnertes“ gesehen wird, als „Verarschung“ oder als etwas völlig Fremdes und Unzugängliches. „Das versteh´ ich nicht. Das interessiert mich nicht. Das ist nichts für mich…“ 

Anstatt jetzt auf das Publikum herabzublicken, sollten die Künstler zugeben, dass 90 % der Bilder auch höchstens für sie selbst interessant sein können (nämlich die, welche im Ergebnis andere nicht überzeugen) und nur der Rest es wert wäre, ausgestellt zu werden. Eine Krakelei ist eine Krakelei und kein kulturelles Ereignis von Bedeutung.

Noch während der Vierzigerjahre, aber besonders nach dem Ende der Besatzung und des Krieges sowie nach der Rückkehr zahlreicher Emigranten, wurde Paris wieder zu dem kulturellen Anziehungspunkt Europas, der es seit dem 19. Jahrhundert gewesen war.
 Wols1 Damals lebte in Paris auch der seit 1932 in Frankreich ansässige Wols, wie sich der Berliner Alfred Otto Wolfgang Schulze seit 1937 nannte. Er hing der
daoistischen Philosophie an und wollte sich vom tätigen, individuellen Bewusstsein befreien und zum „wahren Sein“ gelangen, indem er die surrealistischenMethode des „automatischen Schreibens“anwendete.
 (Neben
Konfuzianismus und Buddhismus ist der Daoismus eine der Drei Lehren, durch die China maßgeblich geprägt wurde.
Das
automatische Schreiben bezeichnet eine Methode des Schreibens, bei der Bilder, Gefühle und Ausdrücke möglichst unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ich wiedergegeben werden sollen. Unter Verzicht auf Absichtlichkeit und Sinnkontrolle dürfen sowohl Sätze, Satzstücke, Wortketten, als auch einzelne Wörter geschrieben werden. Was ansonsten in Hinsicht auf Orthografie, Grammatik oder Interpunktion als fehlerhaft gilt, kann unter diesen Bedingungen erwünscht und zielführend sein. Wichtig ist allein die Authentizität des Einfalls.)
 
Unter anderem verhinderten dies jedoch seine schwierigen persönlichen Umstände: Während des Krieges war er als gebürtiger Deutscher monatelang interniert gewesen. Bei den Zeitgenossen hinterließen Wols' geradezu zwanghaft niedergeschriebenen Bilder dennoch einen tiefen Eindruck.
 Hartung0 
Auch der seit 1935 in Paris lebende Hans Hartung war ein wichtiger Anreger einer abstrakten, psychographischen Malerei. Schon in den späten Dreißigerjahren hatte er völlig abstrakte Psychogramme gemalt, aus einer impulsive Geste heraus.
Besonders Georges Mathieu erkannte 1947 die neuen Ansätze zu einer von jeder Gestalt befreiten Malerei. Er prägte 1947 den Begriff »abstraction lyrique« (lyrische Abstraktion) und fand um 1948 seinen eigenen Stil. Er ist gekennzeichnet von der schwungvollen Geste, mit der der Künstler die Farbe unmittelbar auf die Leinwand presst oder schleudert. Der Pinsel wird zunehmend überflüssig. Schnelligkeit und Zufall sind für Mathieu Garanten der emotionalen Direktheit. Man kann ja mal raten, bei welchem Bild der Maler erregt, wütend oder nur müde war… Mathieu organisierte auch Ausstellungen und brachte Publikationen heraus, die dem Informel zur Durchsetzung verhalfen.
  Mathieu1  Mathieu2

Diese Art des Informel, in den 1940er Jahren in Paris entstanden und bis etwa 1960 aktiv, nennt man auch „Tachismus“. Im Tachismus versucht der Künstler, spontane Empfindungen und das Unbewusste unter Vermeidung jeder rationalen Kontrolle durch Auftrag von Farbflecken auf eine Leinwand darzustellen. In den USA entstand etwa zeitlich parallel im abstrakten Expressionismus mit dem Action Painting eine eng verwandte Malmethode, oft werden beide Bezeichnungen auch synonym verwendet. Der Begriff Tachismus wurde vom französischen Kunstkritiker Pierre Guéguen geprägt, der die Malweise dieser Bilder abfällig tachisme, auf deutsch etwa "Kleckserei" bezeichnete. (französische Wort für Fleck ist "tache", Fleckwerke = franz.: "tachisme“)
In ihrem Ergebnis sowie im Bezug auf den Schaffensprozess verlaufen die Grenzen zwischen Informel und Tachismus allerdings fließend - beiden Kunstrichtungen versuchen, im spontanen Malakt die dem Künstler innewohnende kreative Kraft intuitiv auf die Leinwand zu bringen.

  Hartung5 Im Tachismus sind abstrakte und konturlose, dynamische Äußerungen das Ergebnis des Malvorgangs. Die sinnliche Wirkung der Bilder resultiert dabei vornehmlich aus der kraftvollen und gestischen Setzung hingeworfener Pinselstriche, Farbschlieren, flirrender Kleckse und Tropfen. Jackson Pollock als der führende Protagonist dieser Richtung schwebte zuweilen an Seilen oder Ketten über seinen Bildern um aus dieser Bewegung heraus seine Bilder zu gestalten. Aber im Gegensatz zu den Künstlern des Informel legten die Tachisten auch Wert auf die stimmige Wirkung von Farben. Was mir deshalb auch mehr gefällt.
Theoretisch wie praktisch begleiteten das surrealistische „automatische Schreiben“ und der Abstrakte Expressionismus die Entwicklung des Tachismus; alle diese Kunstrichtungen suchten nach einem spontanen und ungesteuerten bildnerischen Ausdruck des Unbewussten
.

 GruppeCobra2  Nicht nur in Frankreich, auch in anderen Ländern Europas verbreitete sich die Malerei des Informel. Im Herbst 1948 gründete sich eine Gruppe dänischer, belgischer und niederländischer Maler, Bildhauer und Schriftsteller, deren Expressionismus in nordischen Mythen und in der Volkskunst wurzelte. GruppeCobra1 Gemeinsam war ihnen die Wildheit und Urwüchsigkeit des künstlerischen Ausdrucks. Sie verstanden sich als lockere Vereinigung individualistischer Künstler und wollten experimentelle Alternativen finden. Aus den Anfangsbuchstaben der Hauptstädte Kopenhagen, Brüssel und Amsterdam gaben sie ihrer Gruppe den Namen Cobra. Zu ihren Ausstellungen luden sie auch Teilnehmer aus anderen europäischen Staaten ein. Mittlerweile hatten die neuen Tendenzen überall Fuß gefasst. In Spanien arbeitete etwa Antonio Saura, in Italien Emilio Vedova und in Großbritannien Roger Hilton. So spielten die in Frankreich gemachten Erfahrungen eine bedeutende Rolle bei der Suche nach kultureller Identität im Europa der Nachkriegszeit. 

Die schwierigste Situation fanden zweifellos die jungen Künstler in Deutschland vor. Nach Jahren der Isolation unter den Nationalsozialisten, die viele abstrakt arbeitende Künstler ins Exil getrieben hatten, herrschte dort trotz der Einschränkungen durch die Siegermächte ein grundsätzlich optimistisches kulturelles Klima. Angeregt von älteren Malern wie Willi Baumeister und Ernst Wilhelm Nay, kam es bald zu Zusammenschlüssen gleich gesinnter Künstler, denen schon einige der späteren Hauptvertreter informeller Kunst angehörten. Um den Anschluss an die internationale Szene wiederherzustellen, bemühten sie sich um Kontakte zu amerikanischen und französischen Künstlern. 1948 entstand die Gruppe »Junger Westen«, in deren Umkreis sich Karl Otto Götz und Emil Schumacher befanden.

 KarlOttoGötz3 KarlOttoGötz1  KarlOttoGötz4

 Schuhmacher5  Schuhmacher4  Schuhmacher7

Ein Jahr später wurde in München die Gruppe »Zen 49« gegründet. Trotz desselben Ansatzes waren die Werke sehr unterschiedlich. Annähernd gleichzeitig und weitgehend unabhängig von den europäischen Richtungen entwickelte sich in den USA eine als »abstrakter Expressionismus« bezeichnete Spielart informeller Kunst.
Während sich in Europa das Informel als eine Alternative zur klassischen Maltradition durch einen bisweilen schmerzhaften Befreiungsprozess einzelner Künstler durchsetzte, fielen in Amerika Entstehung und Entfaltung eines eigenständigen Beitrags leichter, da man sich hier von besagten Traditionen bereits emanzipiert hatte. Denn nachdem sich die amerikanische Szene, besonders in New York, seit den Zwanzigerjahren den internationalen Einflüssen geöffnet hatte, brachten besonders die Surrealisten, die vor den Nationalsozialisten aus Europa flohen - unter ihnen, Salvador Dalí, Max Ernst, Yves Tanguy und André Breton -, in den frühen Vierzigerjahren bedeutende Impulse in ihre neue Heimat mit. 

Nachdem einige junge amerikanische Maler von den Surrealisten Verfahren zur Bildfindung übernommen hatten, verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer Kunst vom Vorgang des Bild-Erfindens auf den eigentlichen Malprozess selbst und auf die Spontaneität seiner Ausführung.
Zum Zweig einer solchen »gestischen Malerei« zählen Robert Motherwell und Franz Kline. Einen sehr eigenständigen Beitrag lieferte der seit 1957 meist in Rom lebende Cy Twombly mit Bildern und Zeichnungen, die an Kritzeleien erinnern und Schrift- wie Textfragmente einschließen.

Motherwell1  Kline1  Twombly1

Das Einfließen starker Gestik findet sich auch im Werk von Sam Francis sowie von Jasper Johns und Robert Rauschenberg, den Wegbereitern der Pop-Art. Der bereits 1926 in die USA ausgewanderte Niederländer Willem De Kooning sagte sich erst spät von den europäischen Traditionen los. In seinen Kompositionen taucht die menschliche Figur immer wieder auf; da diesen Gestalten jedoch jeder räumliche Bezug fehlt, muss man ihre Gegenständlichkeit eher als Vorwand gestischer Malerei denn als Bildthema ansehen.

SamFrancis1 JasperJohns

 Rauschenberg   DeKooning1

Jackson Pollocks »Actionpainting« bedeutet den wohl radikalsten Beitrag zum abstrakten Expressionismus. Um 1946/47 entwickelte Pollock eine besondere Tropftechnik, das »Dripping«.

Pollock7 Pollock5 Pollock2

Pollock6  Pollock1  (Video)

Mit ihrer Hilfe überzog er meist sehr große Leinwände flächendeckend mit spontan und rasch aufgeschleuderten, verspritzten und verträufelten Farbrinnsalen, bis sich auf der ganzen Leinwand ein annähernd gleichmäßiges, unentwirrbares Geflecht aus unregelmäßigen Linien, Flecken und Tropfspuren gebildet hatte. Sein Spitzname lautete bald „Jack the Dripper“ .
Seine Bilder vermeiden heterogene Elemente und eine deutliche Schwerpunktbildung, wie sie für die europäische Kunst verbindlich war. Vordringlich interessierte Pollock sich nur für den ekstatische Prozess, in den er geriet oder den er auslöste, wenn er die Bilder „malte“. Die verborgenen Kräfte hervorzerren, die in tieferen psychischen Schichten vorhanden sind und die in tänzerische Bewegungen während des Malens einfließen und die den ganzen Körper erfassen. Mit dieser Auffassung bezog sich Pollock auf Carl Gustav Jungs psychoanalytische Archetypenlehre.
Vielleicht war er aber auch nur bekifft oder rauchte das falsche Kraut… 

Mit dem schnellen Sieg der Pop-Art in den frühen Sechzigerjahren sahen sich die Künstler des abstrakten Expressionismus in den USA plötzlich ins Abseits gedrängt. Enorm populär, war ihr Einfluss schnell vorbei. Wir allerdings sollten nicht vergessen, dass sich mit ihm die amerikanische Kunst erstmals vom europäischen Vorbild losgelöst und als Faktor von weltkunstgeschichtlicher Bedeutung profiliert hatte…

 Video K.O. Götz Atelier     Video Retrospektive K.O. Götz     Video Emil Schuhmacher Museeum  (Video) Pollock

----- Ausstellungstipps