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Hallo liebe Kunstfreunde,
ich möchte heute an das Thema unserer letzten Sendung anschließen, in der wir erklärt hatten, warum sich nach dem Kriegsende 1945 die abstrakte Malerei fast weltweit durchgesetzt hatte. In den Diktaturen des Faschismus und Kommunismus war dem Realismus in der Kunst Vorrang eingeräumt worden, weil er von den breiten Volksmassen besser verstanden wurde und somit instrumentalisiert werden konnte. Eine freie Kunst schien also mehr im Abstrakten möglich- und man knüpfte deshalb an den Konstruktivismus an, der aber sehr streng und formal-technisch blieb und somit dem Gefühl, der Emotion, also dem expressiven Element in der Malerei zu wenig Raum gab. Als möglicher Ausweg aus diesem Dilemma blieb, den Schaffensprozess selbst zu emotionalisieren, also wild und spontan und ohne Konzept oder Plan drauflos zu malen. Diese Art der Kunst, auch informelle Malerei genannt, hatte mehrere Spielarten. In Amerika entstand als Besonderheit des abstrakten Expressionismus das „dripping“, eine von Jackson Pollock zur absoluten Perfektion entwickelten Form der Tropftechnik, bei der die Farbe nicht mit dem Pinsel auf die Leinwand aufgetragen wird, sondern vom Pinsel auf die Leinwand tropft oder mit Pinsel und Lappen auf die Leinwand geschleudert wird.
Nun, die gesamte abstrakte Malerei hat Gründe für ihre Entstehung und je nach Land und Zeit ein unterschiedliches Erscheinungsbild - aber eines ist sie sicher nicht: volkstümlich. Sie wird nicht von jedermann verstanden oder gemocht, egal ob es sich um Bilder von Emil Schumacher, Jackson Pollock, Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Pit Mondrian oder Paul Klee handelt. Und so, wie der abstrakten Malerei ganz allgemein eine realistische Malerei gegenübersteht, wollen wir uns heute mit einer Spielart des Realismus beschäftigen, die ab den späten fünfziger Jahren bis Anfang der Siebzigerjahre eine große Rolle spielte und ihre Bedeutung eigentlich bis heute nicht verloren hat: die Pop-Art.
Bei dem Wort „Pop“denken wir an Popmusik, an die Beatles, an alte Hits, an Schlaghosen, an Demos der 68er, aber auch an Plakate von Marilyn Monroe, in mehreren Farben und in Reihe gehängt. Die Pop-Art (englisch: popular art, dt. etwa „volkstümliche Kunst“) wurde zu Beginn als „Anti-Kunst“ bezeichnet; denn wie kann etwas so Schlichtes wie volkstümliche Kunst gleichzeitig „richtige“ Kunst sein? Was zunächst nur wie eine Erweiterung des Kunstbegriffs erscheint, ist aber in Wahrheit eine völlig neue Definition von Kunst und ihrer Aufgabe: Kunst ist nicht elitär. Kunst klärt auf. Kunst kritisiert; kritisiert die Konsum- und Warenwelt. Kunst provoziert. Kunst ist Revolution; antikapitalistisch im Kapitalismus. Sie bedient sich des Kapitalismus, aber sie bedient ihn nicht. Kunst ist verstehbar und einfach. Sie bedient sich der Mittel, die allgegenwärtig sind. Sie ist plakativ und sticht ins Auge.
Historisch kann man innerhalb der Pop Art zwei verschiedene Grundhaltungen ausmachen: Zum einen eine anfängliche Begeisterung für den nach dem Zweiten Weltkrieg (wieder)erlangten Wohlstand und die damit verbundene Konsumgesellschaft, zum anderen eine spätere kritische Haltung. Diese ist auch auf Geschehnisse wie den Vietnamkrieg, die Ermordung John F. Kennedys, Rassenunruhen und den steigenden Drogenkonsum in den USA in den 1960er Jahren zurückzuführen, da sie die Verwundbarkeit dieser scheinbar perfekten kalkulierten Wohlstandsgesellschaft aufzeigte.
Das Populäre der Pop-Art liegt in den trivialen Bildmotiven; so orientiert sich die Pop-Art stark an Werbetafeln, Konsumgütern und weiteren Elementen des Großstadtlebens. Die Pop-Art will somit das Massentaugliche, das Populäre zur Kunst werden lassen. In den USA ist die Pop-Art weniger theoretisch und direkter ausgerichtet: Die Welt des Supermarktes und der Massenproduktion, Comics, strahlende Stars mit dem Image der ewigen Jugend. Die Pop-Art arbeitet also mit Alltagsgegenständen, die sie isoliert und dadurch fokussiert. Technisch bedient sie sich oft des Siebdrucks und der Fotomontage. Eine weitere Darstellungsweise der Pop-Art ist neben der Hervorhebung aber auch die die gleichmäßige Reihung der dargestellten Objekte.
Marlyn Monroe z.B. war eine Ikone, etwas Herausragendes, Einmaliges, aber stets gegenwärtig. Wenn man sie in verschiedenen Farben – doch immer mit gleichem Gesicht- in einer Serie darstellt, wird sie durch die ständige Reproduktion zu etwas „Gemachtem“, zu einer Ware. Ein Star ist eine hergestellte Ware; Menschen haben einen Warencharakter; neben dem wahren Charakter mit „h“ auch einen Warencharakter ohne „h“.
Vorläufer der Pop-Art finden sich in Großbritannien, aber richtigen Schwung erhielt der neue Stil zuerst in den USA. Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg und Jasper Johns wurden Superstars des Genres; Werke von Warhol kennt noch heute jedes Kind.
Auch in anderen Ländern nahmen die Künstler die neuen Motive auf und verarbeiteten sie regional unterschiedlich. In Japan wurden zum Beispiel Einflüsse der klassischen japanischen Comics, auch Manga genannt, benutzt. WERBUNG
In England fing alles an. Die sog. “Independent Group (IG)”, gegründet in London um 1952, gilt als erster Vorläufer der Pop Art. Die Gruppe von jungen Malern, Bildhauern, Architekten und Autoren diskutierten die Folgen moderner Erscheinungen wie Massenwerbung, Fernsehen, Comics, Science Fiction und Technologie. Beim ersten Meeting der Gruppe 1952 präsentierte der Vize-Gründer und Bildhauer Eduardo Paolozzi eine Serie von Collagen mit dem Titel „Bunk!“. Diese hatte er während seiner Zeit im Paris aus „gefundenen Objekten“ hergestellt, aus Postkarten, Titelseiten von Magazinen und Plakaten, die weitverbreitete amerikanische Kultur zeigten. Eine Collage zeigt z.B. Tarzan, der ein Auto mit Leuten über seinem Kopf in der Hand hält; daneben ein gezeichnetes eregiertes Glied wie aus einem Biologiebuch; in einem vergrößerten Hoden räkelt sich ein Pinup-girl.
Sir Eduardo Paolozzi (geboren 1924 in Schottland, gestorben 2005 in London) war Graphiker und Bildhauer. Er prägte die britische Pop-Art maßgeblich. Er kannte Deutschland gut, denn von 1960-62 lehrte er als Gastprofessor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste. 1977 wurde er an die Fachhochschule Köln auf den Lehrstuhl für Keramik berufen. Paolozzis Werk ist stark beeinflusst von seinem Interesse für die Massenmedien, er interessierte sich für alltägliche Gebrauchsgegenstände und insbesondere Kitsch. Er entwickelte - als Immigrant frei von "Englischen" Traditionen - einen einzigartigen Stil mit einer großen Bandbreite an Materialien. In seinen frühen Skulpturen, viele aus Aluminium, nahmen Assemblagen aus Altstoffen, gesammelt auf dem Schrottplatz, menschliche Formen an, die sich später zu hochglänzenden roboterartigen Gestalten entwickelten. Manche dieser Menschen- Roboter sind etliche Meter hoch. Ich bin mir sicher, dass George Lukas die Skulpturen kannte, als er seine „Star- Wars“ Filme konzipierte.
Später schuf er komplexe Mechaniken, die der industriellen Technologie der Nachkriegszeit huldigten. Eine Skulptur im Yorkshire Sculpture Park war Kindern als Spielplatz gewidmet und sollte die Fantasie der Kinder ansprechen und sie zum Klettern und Versteckspielen animieren. In Deutschland gibt es zahlreiche Werke von ihm im öffentlichen Raum, in München, in Köln, aber auch in Linz und in London; Mosaiken, Brunnenanlagen, Skulpturen. Für Paul McCartney entwarf er ein Plattencover. In seinem Münchner Studio entwickelte Paolozzi viele seiner Arbeiten und Konzepte. In einer seiner ersten Collagen taucht zum ersten Mal das Wort POP auf. Es steht in der Pulverwolke eines Revolvers. Eine Hand hält einen Revolver und schießt auf ein Pin-Up- Girl, das sich auf einem Kissen räkelt und den Betrachter anlächelt. Unter ihr fliegt ein Jagdbomber, daneben klebt eine Werbung für Coca Cola; Das mehrdeutige Werk trägt den Titel „I was a Rich Man's Plaything" (dt. etwa: Ich war eines reichen Mannes Spielzeug). Da spricht offenbar eine Tote über ihre Rolle im Leben… Nach Paolozzis Vorgabe fokussierte sich die Gruppe hauptsächlich auf die amerikanische Pop-Kultur, vor allen auf die Werbung in den Massenmedien.
Das Kunstwort „Pop Art“ wurde von John McHale im Jahre 1954 geschaffen. Danach nutzten die Mitglieder der Independent Group den Begriff zunächst als Spitznamen.
Bleiben wir in den USA: Zu dieser Zeit war die Werbung dort schon sehr weit entwickelt und nutzte viele Elemente der modernen Kunst. Als Konsequenz mussten die amerikanischen Künstler tiefer in die Trickkiste greifen, um dramatischere Stile zu entwickeln, die sich erkennbar von denen der Werbung unterschieden. Als die Briten anfingen, die amerikanische Pop-Kultur in ihren Werken zu verarbeiten, sahen sie diese oft von einer eher distanzierten, europäischen Perspektive aus, manchmal romantisch verklärt oder mit humoristischen Untertönen versehen. Manche Werke zeigen eine feine Ironie.Die amerikanischen Künstler jedoch waren Tag für Tag mit dieser Art von in Massen produzierten Produkten konfrontiert, was sie zu einer eher aggressiven Kunstform anregte.
Ein überaus wichtiger Künstler für die Gründung und Entwicklung der Pop-Art in den USA war Robert Rauschenberg. Er ließ sich vom deutschen Dadaisten Kurt Schwitters inspirieren, und er interessierte sich für die sozialen Fragen der Gegenwart. Sein Ansatz war es, die Kunst aus vergänglichen Materialien der Gegenwart mit Themen des alltäglichen Lebens in Amerika zu verbinden. Zu Anfang seiner Karriere malte Rauschenberg einfarbig weiße, schwarze und rote Gemälde. Es ging ihm darum, den Ballast alter Stile und Materialien abzuwerfen. Es begann 1951 mit den weißen Bildern, sieben monochrom-weißen Tafeln die er in seiner ersten Einzelausstellung in New York, ausstellte, und die den Zweck hatten, „die Malerei auszulöschen“. Das Thema „Stille“ wurde thematisiert; der Betrachter und dessen Umgebung -wie zum Beispiel der Schatten des Betrachters – sollte sich im Bild spiegeln und somit Teil der Arbeit werden. Dazu sage ich nur: Lieber Maler, male mir ein Bild; sei nicht faul, und versuche nicht, mich zu benutzen! Wenn ich was von mir sehen will, kaufe ich mir einen Spiegel und kein Bild für 100.000 Dollar!
Es gibt ja in der Kunst die absurdesten Begründungen für alles mögliche, und manchmal auch für geistigen Diebstahl. Wenn ein Malewitsch ein schwarzes Quadrat malen konnte und dadurch bekannt wurde, warum sollte er dann nicht auch zur dunklen Einfarbigkeit wechseln? Es braucht nur eine hübsche Begründung, und die geht so (Zitat) :
Rauschenberg „ bemalte die Leinwände mit glänzender schwarzer Farbe und übermalte diese anschließend mit matter schwarzer Farbe. Er benutzte die Farbe Schwarz, um darunter die Spuren der Tradition und der eigenen Konditionierung verschwinden zu lassen und darauf ihr Grundvokabular neu zu erfinden. Schwarz stand bei Rauschenberg für die Selbstbeschränkung auf das Quasi-Nichts, das ihm bei der Suche nach sich selbst als Ausgangspunkt diente. Für Rauschenberg bedeutete Schwarz auch das Nicht-Wissen, wie es für ihn künstlerisch weitergehen würde. Die Farbe Schwarz scheint mit einem Prozess der Transformation verbunden. Sie lässt sich als Mittel zur Grenzüberschreitung deuten – als Grenzüberschreitung vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Materiellen zum Spirituellen, vom Bewussten zum Unbewussten. Dass ausgerechnet schwarze Bilder Ausdruck eines Wandels sind, könnte mit ihren nächtlichen Eigenschaften erklärt werden. Die Nacht steht in der Mystik, Mythologie, der Kunst und Literatur für den Wandel. Das Sehen in der Dunkelheit verändert die Wahrnehmung. Je länger man sich in der Dunkelheit aufhält, je mehr man sich auf sie einlässt, desto klarer konturiert sich die Umwelt. Der Prozess des Sehens rückt in den Mittelpunkt – ein bewusstes, vielleicht präziseres Sehen. Man mag sogar auch den Wunsch hinter sich lassen, die Umwelt erkennen zu wollen. Dann nämlich ermöglicht die Nacht die besondere Qualität des Nicht(s)-Sehens, das die Entsprechung zum Nicht-Wissen ist. Dieses Nicht-Wissen als eine Form von Reinigung wiederum ist Voraussetzung für einen Wandel.“ Usw usw usw. Nun, ich glaube, miese, langweilige Bilder werden selten durch Phraseologie besser, Herr Kommentator von Wikipedia. Schlimmer als die Werke sind oft die Texte, die über sie Auskunft geben sollen.
Als Skandal wurde empfunden, dass Rauschenberg 1953 ein Gemälde von Willem de Kooning kurzerhand und buchstäblich ausradierte. Begründung dieser Sachbeschädigung: Er wolle mit der Übermacht des amerikanischen Abstrakten Expressionismus abrechnen. Auch solche Bildzerstörung war nicht neu, wie ich in früheren Sendungen schon beschrieben habe… Und schon gar nicht macht es den Täter sympathischer. Oder glaubwürdiger.
Rauschenberg hatte sich dem sog. Neo-Dadaismus verschrieben, was für seine Kunst bedeutete, dass er nun Collagen anfertigte, die die Grenzen des Bekannten sprengten. Schwitters, der alte Dadaist aus Deutschland, sollte möglichst getopt werden! So verwendete Rauschenberg neben Bildschnipseln auch gewöhnlichen Müll oder ausgestopfte Tiere in seinen Arbeiten. Diese „Combines“ genannten Werke bezeichnete er als „in the gap between art and life“, zu Deutsch etwa: In der Lücke zwischen Kunst und Leben. Na ja, man gebe seinem Ding einen Namen, schon wird es auch einen Markt geben… Insofern war Rauschenberg ein Schlitzohr.
Sein bekanntestes Werk stammt aus der Zeit der späten 1950er Jahre und ist eine Serie, die einen Widder mit einem Autoreifen darstellt. Der Kopf des Tieres ist bunt angemalt, um den Bauch trägt es einen Autoreifen; der Widder steht mit den Füßen auf einem Bild, einer Assamblage. Nun, liebe Kunstfreunde, was will uns der Künstler damit sagen? - Keine Ahnung, wahrscheinlich nichts. Oder dass der Künstler einen Kritiker kennt, Sternzeichen Widder, der seine Werke zerrissen hat und einen Cadillac fährt… In den darauffolgenden 60ern verwendete Rauschenberg Fotos von berühmten Persönlichkeiten, wie zum Beispiel John F. Kennedy. Auch damit versuchte er, die „Lücke“ der Kunst zur Realität zu schließen, „ the gap between art and life“… Und nicht zu vergessen: Promi sells! Sex sells auch, nur eben mehr bei Männern, aber Promi sells bei allen.
Wie Andy Warhol experimentierte auch Rauschnberg mit Siebdruck. 1962 wurden die ersten schwarz-weißen Drucke von ihm bekannt. Und er veranstaltete mit anderen Künstlern sog. „Multimedia-Shows“, die große Happenings waren. In den späten 60ern peppte er seine Werke zusätzlich mit Elektronik auf. „Experiments in Art and Technology (E.A.T.)“ nannte er das, wieder so ein Name, den man ruhig vergessen kann… In den 70er und 80er Jahren besann sich Robert Rauschenberg wieder auf die Technik der Collage und stellte Lithografien und andere Grafiken her. Back to the roots sozusagen, Schwitters lässt grüßen. Man war ja jetzt bekannt. Aber Größe ist relativ: Ende der Siebziger stellte er ein monumentales Kunstwerk her, das - wie der Name „ a quarter mile“ , eine Viertelmeile, - schon sagt , ca. 400 Meter lang war. Bedeutung durch Größe – oder wie schon der Malanfänger lernt: Flucht ins große Format. Das Werk bestand aus Collagen, Objekten und Bildern, die vor allem den Krieg in Vietnam und Kambodscha thematisierten. Hier war Rauschenberg sehr politisch, und für mich persönlich glaubwürdig. Zwischenzeitlich begann Rauschenberg auch zu fotografieren, und er verwandte die Fotos Anfang der 80er, als er das Siebdruckverfahren wieder ausgrub und seine Bilder auf riesige Leinwände druckte. Sein letztes großes Projekt war das von ihm gegründete “Rauschenberg Overseas Culture Interchange (ROCI)”. Das war eine Wanderausstellung mit einem wechselnden Bestand an rund 200 Kunstwerken, die in Zusammenarbeit mit Künstlern und Handwerkern in den jeweiligen Ländern entstanden. Damit tourte er um die Welt. „Es war mein Entschluss, etwas gegen die Weltkrise zu tun, anstatt mich der Midlife Crisis hinzugeben“, sagte er. Das ist nun wirklich sehr amerikanisch: ein Einzelner rettet die ganze Welt, sonst wird ihm langweilig. Das Projekt endete erst 1991. Danach wurde es künstlerisch ruhig um Rauschenberg; er erhielt noch etliche Preise für sein Lebenswerk und starb 2008 in Florida.
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